2015 starteten wir unser erstes Projekt „Strengthen the position of women in Eritrea - fight against female genital mutilation“ gegen die weibliche Genitalverstümmelung, finanziert über das EIDHR-Programm (European Instrument for Democracy and Human Rights) der Europäischen Union. Bei der genitalen Verstümmelung handelt es sich um schwerwiegende, äußerst gewalttätige Eingriffe in den Körper eines Kindes, die schwerste physische und psychische Schäden hinterlassen. FGM zählt zu den systematischsten und
 am weitesten verbreiteten Misshandlungen und Kinderrechtsverletzungen. Viele internationale Organisationen stufen die Beschneidung als Verletzung des Menschenrechts auf körperliche Unversehrtheit ein.

Ziel des Projektes war es, im Rahmen der Aufklärungsarbeit Vorkommen und Verbreitung der Genitalverstümmlung zu reduzieren und damit akute Komplikationen sowie langfristige Folgen für die Frauen und deren Familien zu vermeiden. Kenntnisse über die Gesetzeslage stärkten die eritreischen Frauen in ihrem Recht und fördern die Gleichberechtigung der Geschlechter.

Nach erfolgreichem Abschluss dieses 2-jährigen durch die EU geförderten Projektes in der Region Gash Barka in Eritrea haben wir entschieden, diese wichtige Arbeit fortzusetzen und uns weiterhin auf ländliche Gebiete konzentriert. Insbesondere dort werden noch immer in hoher Zahl Mädchen und Frauen der Beschneidungstradition ausgesetzt, obwohl seit April 2007 die Beschneidung weiblicher Genitalien in Eritrea verboten ist. So setzten wir in der Gemeinde Dorok, zu der 10 Dörfer gehören unsere Arbeit fort. Dorok liegt ca. 10 km von Keren, der Hauptstadt der Provinz Anseba, entfernt.

Um unsere Aufklärungsarbeit auch nachhaltig in allen Bevölkerungsschichten zu verankern und auch dauerhaft eine Bewusstseinsveränderung  zu erreichen, wurde die gesamte Dorfgemeinschaft einbezogen. Dazu baute unsere eritreische Projektkoordinatorin Worku Zerai in den jeweiligen Gemeinden eine lokale Projektgruppe auf, die sich aus Vertreter*innen aller gesellschaftlichen Gruppen einschließlich der religiösen Führer in den Kommunen zusammensetzte. Diese Gruppen wurden zunächst geschult und fungierten dann als Multiplikatoren. Darüber hinaus wurden alle Frauen und Männer der Dörfer durch den Film „Behind the curtains of agony“ in besonderem Maße sensibilisiert, da in diesem Film tatsächliche Beschneidungen von Mädchen gezeigt werden. Dieser Film erzeugt nach unserer Erfahrung eine tiefe Betroffenheit bei Frauen und insbesondere Männern, da diese erstmals mit der Brutalität einer Beschneidung konfrontiert werden. Bisher war für die Väter und Ehemänner die Beschneidung ihrer Töchter und Frauen ein Tabuthema. Der Austausch in den anschließenden Schulungen zeigte, dass ein sukzessives Umdenken erfolgte. Darüber hinaus lag unser besonderes Augenmerk in der Sensibilisierung der künftigen Elterngeneration.

Teil unserer umfassenden Aufklärungsarbeit war auch die Einbeziehung der traditionellen Beschneiderinnen, für die diese Arbeit einen Einkommenserwerb darstellt. Neben der Aufklärung und Schulung der Beschneiderinnen war es uns ein Anliegen, ihnen eine alternative Erwerbsmöglichkeit zu eröffnen. Aufgrund der ländlichen Lebensumstände sind diese Möglichkeiten sehr limitiert. Eine gute Option war es, ihnen Ziegen aus Spendengeldern zu schenken, um ihnen damit durch den Verkauf der Zicklein oder der Milch eine neue Einkommensquelle zu bieten. So können wir stellvertretend für alle Beschneiderinnen von Nesrit Gheber Rebi erzählen, die Hunderte von Mädchen beschnitten hat, wie viele genau, weiß sie gar nicht: Sie nennt es „to beautify" - verschönern. Im eritreischen Dorf Humeray, ein Dorf der Gemeinde Dorok, war sie die einzige Beschneiderin. Alle brachten ihre Töchter irgendwann zu ihr, meist mit vier oder fünf Jahren. Weil es Tradition ist. Weil natürlich gewachsene Schamlippen und Klitoris als unrein gelten, als unhygienisch, hässlich oder gefährlich - und als Hindernis, einen Ehemann zu finden und damit wirtschaftlich versorgt zu sein. Einmal sei eine unbeschnittene 28-Jährige gekommen: „Sie fürchtete, dass ihr Mann sie nach der Hochzeitsnacht wegschickt. Ich beschnitt sie, damit sie voller Selbstvertrauen in die Ehe gehen konnte.“ (chrismon 08.2019, S. 44)

Im November 2019 begannen wir nach Abschluss unserer Arbeit in Dorok ein neues Projekt in Halibmentel und haben die erste Zusammenkunft der Projektgruppe begleitet. Der Ausbruch der Corona-Pandemie und ein umfassender Lockdown in Eritrea führte zu einer Zwangspause. Auch als unsere Koordinatorin Worku wieder ihre Arbeit aufnehmen durfte, mussten wir weiter ausharren, da innereritreisch  die behördliche Zuständigkeit für unser Projekt neu geklärt werden musste. Mitte 2023 konnte eine Klärung erfolgen und wir sahen guten Mutes dem Neustart entgegen. Kurze Zeit später erkrankte unsere eritreische Projektpartnerin Worku Zerai schwer und verstarb Anfang 2024. Worku war der Kern unseres Projektes im Land, sie war die eritreische Kompetenz in Sachen Frauenrechten. Sie war unser Kontakt zu Behörden in Stadt und Land und ganz nah bei den Bedürfnissen der Menschen. Sie hat uns Zugang zu den Menschen verschafft, Einblicke in Lebens- und Denkweisen. Sie war die Essenz unseres Projektes. Wir trauern um diese wunderbare Frau.

Nun sortieren wir unser Projekt neu. Dabei sind verschiedene Möglichkeiten denkbar. Wir möchten unsere Arbeit fortführen, ob dies in Eritrea oder einem anderen Land möglich ist, ist dabei noch offen.

Wir danken allen für die bis dato großzügige Unterstützung durch Spenden.

 

Projektleitung: Anne Rieden und Antje Thomas

Unser Filmemacher Kai Gebel hat einen eindrucksvollen Film über unser Projekt erstellt.